Liebe Christen!

In den letzten Wochen taucht in den Medien vermehrt der Begriff der "christlich-abendländischen Kultur" auf. Ich bin in dieser Kultur aufgewachsen und sie ist mir vertraut. Das Gefühl des Geborgenseins aus Psalm 23 hat mich auch in diversen Wirren meines Lebens nie verlassen. Wenn ihr bis zu dieser Zeile meine Überlegungen aufmerksam verfolgt habt wisst ihr, wie wir unsere Kinder am einfachsten und mit größtmöglicher Wirkung in unsere Kultur einbetten können: wir müssen sie nur vorleben.

Kinder sind von Natur aus neugierig, intelligent, scharfsinnig, lern- und wissbegierig und haben einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit. Ihr Gefühl erkennt sofort, wenn wir ihnen etwas vormachen. Sie sehen, dass wir das eine predigen und das andere tun und nicht Jesus, sondern unsere Kinder könnten gesagt haben "an ihren Taten also könnt ihr die falschen Propheten erkennen" (Matthäus 7.20).

Bei diesem Satz überkommen mich Trauer und Schuldgefühle. Darin erkenne ich mich selbst, mich ganz persönlich und mit mir die ganze christlich-abendländische Kultur. Bevor ihr mich für diese Aussage verurteilt, nehmt euch bitte die Zeit und meditiert über ein paar Leitmotive unserer Kultur. Sie stammen alle aus der Bergpredigt. Macht eine Pause und überlegt:

Wie wir Menschen miteinander umgehen, erleben wir jeden Tag. Wenn wir beim Überholen noch schnell einen Kleinwagen hinter dem LKW zur Vollbremsung zwingen ("1."), erleben wir je nach Charakter Gefühle von kurzem Mitleid bis zur Schadenfreude oder innerer Genugtuung. Sind wir selbst hinter dem LKW, erleben wir ganz andere Gefühle ("2.").

Zahlen über unser christliches Verhalten liefert die polizeiliche Kriminalstatistik. Dort sind für 2015 knapp 30000 Fälle von Nötigung im Straßenverkehr und über 500000 Fälle von Körperverletzung erfasst, 765000 "Roheitsdelikte und Straftaten gegen die persönliche Freiheit" und 2,4 Millionen Diebstähle. Aus anderen Erhebungen wissen wir, dass 12 Millionen Deutsche im Kleinkrieg mit ihren Nachbarn leben, ca. 1 Million Erwerbstätige werden im Beruf gemobbt.

In der Wirtschaft herrscht schon lange Krieg. Große Unternehmen schlucken kleine und unsere Innenstädte sterben aus, weil Supermarktketten am Stadtrand billiger sind. Suchworte wie "Verdrängungswettbewerb", "Dumping" oder "Kartelle" helfen euch, einen Überblick unserer kleinen und großen Wirtschaftskriege zu bekommen. "CI" ist nicht nur die Abkürzung für "Corporate Identity", sondern auch für "Competitive Intelligence". CI-Webseiten erzeugen bei mir ähnliche Gefühle wie der Tatort am Sonntag Abend. Wirtschaftskrieg ist legal, an der "Ecole de Guerre Economique (EGE)" in Paris kann man ihn ganz legal studieren.

In der Politik lernen unsere Kinder besonders deutlich, wie Menschen miteinander umgehen. Sogar "Freunde". Seit ein paar Jahren ist es salonfähig, dass Freunde Freunde ausspionieren⁽¹⁾. Meine Jugend war geprägt von der Angst, unsere amerikanischen Freunde würden im Kalten Krieg lieber Deutschland mit Nuklearraketen zerstören als es dem Ostblock zu überlassen⁽²⁾. Barack Obama ist am 4. Juni 2009 nach Kairo "gekommen, um einen Neuanfang zwischen den Vereinigten Staaten und den Muslimen überall auf der Welt zu beginnen". Unsere Kinder haben damals seine Worte gehört und sehen heute seine Taten. Sie wissen, dass irgendwo anders in der Welt Kinder durch Drohnenangriffe sterben - von einem Friedensnobelpreisträger genehmigt⁽³⁾⁽⁴⁾.

Je länger ihr nachdenkt und nachforscht, in euch selbst und in unserer Gesellschaft, desto klarer wird euch die Diskrepanz zwischen der Illusion, die wir unseren Kindern lehren und der gegenwärtigen und von uns vorgelebten Realität.

Liebe Christen! Bitte lasst uns aufhören, über die christlich-abendländische Kultur zu polemisieren - lasst sie uns unseren Kindern gemeinsam vorleben!