"Alles ist einfacher, als man denken kann, zugleich verschränkter, als zu begreifen ist."

(Johann Wolfgang von Goethe)

Der Blick fürs Ganze

Komplexe System sind im Grunde immer einfach. Die Rechenleistung von Computern basiert auf einer Mathematik, die nur zwei Ziffern kennt - Null und Eins, und die Hirnzelle einer Nacktschnecke funktioniert kaum anders als unsere. Betrachten wir allerdings nur einen kleinen Ausschnitt eines komplexen Systems, so kann uns das tatsächlich "verschränkter, als zu begreifen ist" erscheinen.

Unser Alltag, unser Wirtschaften, unsere Politik, die Kindererziehung, Beruf, sogar die Freizeit – das ganze Leben wird immer komplizierter und wird uns zur Last. Oft genug ist es das "ganz normale Leben", das uns krank macht.

Wenn wir, unser Leben und unser Planet wieder gesund werden sollen, dürfen wir unser Denken und Handeln nicht von dem kleinen unübersichtlichen Systemausschnitt leiten lassen. Wir müssen uns immer wieder zurücklehnen und in Ruhe überlegen, was wichtig ist und unwichtig und wofür wir unsere Liebe, unsere Energie, unsere Zeit und unser Geld einsetzen.

Schmunzel-Experiment

Beobachte eine Woche lang, welche Gebiete der Mathematik dir im täglichen Leben (nicht in der Schule) begegnen. Das könnte etwa so aussehen:

80% Grundrechenarten, 10% Dreisatz, 6% Geometrie, 3% Statistik, 1% Funktionentheorie, topologische Vektorräume, Parrondo-Paradoxon, Invariantentheorie und 3. Ableitung.

Deine Statistik wird dir mit einem Blick beweisen, dass der wichtigste und größte Teil der Mathematik (das, was du tatsächlich im Leben brauchst) sehr einfach ist. Die meiste Zeit verbringst du allerdings vermutlich mit dem winzigen unwichtigen und komplizierten Teil.

Tatsächlich verhält es sich in unserem Alltagsleben und in der Politik oft ähnlich: wir beschäftigen uns mit unwichtigen und/oder komplizierten Dingen, verlieren den Überblick und haben für das Wichtige keine Energie mehr.

Survival-Mathematik

Eine nicht untypische Familie sind die Hänsigers. Vater, Mutter, der 13jährige Hans und seine kleine 7jähre Schwester Lena. Der Vater arbeitet voll, die Mutter in Teilzeit, beide zusammen 240 Stunden im Monat. Hans braucht ein neues Smartphone. Das Vorgängermodell hat ausgedient, die neuesten Spiele laufen nicht mehr flüssig, und Hans wird ohnehin von seinen Mitschülern gehänselt. Werbepsychologen haben ganze Arbeit geleistet und ihre Botschaft in alle beteiligten Gehirne geschrieben. Vater Hänsiger ist nicht so leicht beeinflussbar, allerdings muss er sich demnächst ein neues Auto kaufen. Das Alte ist inzwischen alt.

In letzter Zeit häufen sich bei den Hänsigers die kleinen Probleme. Hans ist trotz Ritalin in der Schule unaufmerksam und hat eine 5 in Mathe, Lena ist in der Schule auffällig und Vater Hänsiger hat gerade ein Burn-Out-Syndrom diagnostiziert bekommen. Obwohl es im elterlichen Schlafzimmer ruhig geworden ist, ist Mutter Hänsiger einigermaßen glücklich, sie ist mit Fluoxetin gut eingestellt.

Zum Glück stößt Vater Hänsiger auf diese Webseite und lernt in wenigen Minuten das Einmaleins der Survival-Mathematik. Sie ist extrem einfach und für jeden verständlich, der erfolgreich die Grundschule hinter sich gebracht hat:

Das monatliche Einkommen der Hänsigers liegt bei 3600 Euro. Davon wird zunächst bezahlt, was die Familie zum Leben braucht (Miete, Essen und Trinken, Kleider usw.), das sind 3120 Euro. Bleiben 480 Euro für Unwichtigeres (z.B. Luxusgüter) übrig.

Der nächste Schritt ist entscheidend, obwohl ihn kaum jemand kennt. Wir rechnen aus, wie lange die Hänsigers für Wichtiges und Unwichtiges arbeiten. Der Stundenlohn ist

  • Gesamt: 3600 Euro/ 240 Stunden = 15 Euro/Stunde
  • für Wichtiges: 3120 Euro / 240 Stunden = 13 Euro/Stunde
  • für Unwichtiges (Luxuskonstante): 480 Euro /240 Stunden = 2 Euro/Stunde

Die Hänsigers müssen also eine Stunde lang arbeiten, um nach Abzug der unumgänglichen Kosten 2 Euro im Geldbeutel zu haben. Diese Luxuskonstante müssen die Hänsigers nur einmal bestimmen. Mit der nachfolgenden Formel rechnen die Hänsigers für alle Luxusgüter aus, wie lange sie tatsächlich dafür arbeiten müssen:

Arbeitszeit für Luxus = Preis des Luxusgutes / Luxuskonstante

Hansens Smartphone soll 300 Euro kosten. Die Rechnung:

Arbeitszeit für Luxus = Preis des Luxusgutes / Luxuskonstante
Arbeitszeit für Luxus = 300 / 2
Arbeitszeit für Luxus = 150 Stunden

Hans kann nun selbst entscheiden, ob er ein neues Handy oder seine Eltern 150 Stunden lang für sich haben möchte.

Das neue Auto soll 17280 Euro kosten. Vater Hänsiger rechnet:

Arbeitszeit für Luxus = Preis des Luxusgutes / Luxuskonstante
Arbeitszeit für Luxus = 17280 / 2
Arbeitszeit für Luxus = 8640 Stunden

Das sind 36 Monate oder 3 Jahre.

Vater Hänsiger ist verblüfft. Er will es nicht glauben. Er sucht Rechenfehler. Er sucht Ausflüchte. So einfach kann das doch nicht sein! Dann ruft er den Familienrat zusammen. Nach einer kurzen Besprechung beschließt die Familie, sowohl Smartphone als auch das alte Auto noch ein paar Jahre länger zu benutzen. Die gesparte Arbeitszeit verbringt die Familie zusammen mit gemeinsamen Unternehmungen. Ein Jahr später sieht man Vater Hänsiger wieder lächeln, das Burn-Out-Syndrom gehört der Vergangenheit an. Hans hat eine 3 in Mathe, Ritalin hat er schon lange abgesetzt. Auch Mutter Hänsiger verzichtet seit einem halben Jahr auf ihre Tabletten – und hat inzwischen ein lebendiges Leuchten in den Augen...


Übungen, die den Blick fürs Ganze schärfen:

Eine Dampfmaschine hat einen Wirkungsgrad von ca. 10%, ein Benzinmotor ca. 30%, ein Elektromotor ca. 90%. Mit welchem Antrieb würdest du eine Milliarde Pkw ausstatten?
  1. Elektromotor
  2. Dampfmaschine
  3. Benzinmotor
5 Millionen Deutsche leiden an einer Depression. 10 bis 500 Personen in Deutschland tragen anstößige Kleidung (die einen sind nackt, die anderen voll verschleiert). Die Diäten von Politikern werden von unseren Steuergeldern bezahlt. Für welche Politiker arbeitest du gerne:
  1. Für Politiker, die nach Lösungen für die Gesundheit ihrer Bürger suchen
  2. Für Politiker, die ihre Arbeitszeit mit Kleiderordnungen für Minderheiten verbringen
In Deutschland sterben jährlich 300000 Menschen an Krankheiten des Kreislaufsystems, 11000 durch Stürze, 10000 durch Selbstmord, 400 durch Ertrinken, 80 durch Behandlungsfehler von Ärzten, weniger als 1 durch Terroranschläge (alle Zahlen ungefähr). Wovor hast du am meisten Angst?
  1. vor einem Herzinfarkt
  2. vor dem Ertrinken
  3. vor einem Terroranschlag

Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden!

Liebe, Energie, Zeit und Geld da einsetzen, wo es sinnvoll ist!


     herzlich denken Impressum